Interlingua ist eine Kultursprache
Interview mit Mario Di Piazza, Vorstand des Erasmus-Instituts für Interlingua e.V.
Wie kamen Sie auf die Idee, eine Plansprache zu lernen?
Ich bin mit Deutsch und Italienisch aufgewachsen. In der Schule kamen Englisch und Französisch dazu. Exotische Sprachen wie Japanisch, Chinesisch und Arabisch faszinierten mich genauso, aber ich konnte mich nicht entscheiden, welche ich lernen will. Ich fand es bedauerlich, dass ich mich nicht mit einem Araber unterhalten kann, wenn ich Japanisch lerne und vice versa, wenn ich Arabisch spreche, nicht mit einem Japaner. Per Zufall bin ich in dieser Zeit im Internet auf Interlingua gestoßen. Ich war begeistert von der Idee, mit Hilfe einer neutralen Sprache mit den unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen Kulturen kommunizieren zu können. Bis dato hatte ich von Interlingua noch nie etwas gehört.
Was sind die Vorteile einer Plansprache?
Neben der genannten Neutralität sicherlich der Aspekt der logischen Grammatik. Plansprachen vermeiden Ausnahmen. Dadurch gewinnt man mehr Sprachsicherheit, ein höheres Sprachniveau und ganz einfach Zeit. Zeit, die man dann nutzen kann für weitere Studien von natürlichen Sprachen, z.B die des Nachbarlandes oder der Lieblingssprache aus Lust und Liebe zu Land und Leuten.
Nicht unwesentlich finde ich den Aspekt, dass man bei Plansprachen auch keine teuren Sprachaufenthalte in den jeweiligen Ländern braucht. Wo sollte man auch hinfahren?! Wenn man so will, ist das der demokratische Aspekt bei Plansprachen.
Es gibt ja noch andere Plansprachen. Warum haben Sie sich für Interlingua entschieden?
Bei der Plansprache Interlingua haben mich drei Aspekte überzeugt:
– Interlingua verfolgt einen methodischen Ansatz.
– Interlingua stiftet europäische Identität.
– Interlingua ist das moderne Latein.
Was ist der methodische Ansatz?
Als ich die ersten Interlingua-Texte gelesen habe, war ich verblüfft, dass ich sie verstehe, ohne die Sprache erlernt zu haben. Das liegt daran, dass sich der Wortschatz aus vielen internationalen Vokabeln zusammensetzt. Ein sehr gutes Beispiel ist das Wort „Identität“. Dieses Wort gibt es in vielen europäischen Sprachen, zum Beispiel als „identity“, „identité“, „identità“, „identidade“, „identidad“, „identiteit“, (sprich identichnost') Идентичность. Die Aussprache und Schreibweise ist je nach Sprache anders, aber die Bedeutung ist dieselbe. Alle genannten Formen gehen auf das lateinische „identitate“ zurück. Bei anderen Plansprachen ist der Wortschatz willkürlicher, viel stärker nach den Präferenzen ihrer Erfinder ausgerichtet und damit nicht nachvollziehbar. Auch ist die Grammatik bei Interlingua nicht schematisch angelegt wie bei anderen Plansprachen, weil damit die Wörter verfälscht werden. Somit ist Interlingua sozusagen ein Naturprodukt.
Inwiefern stiftet Interlingua europäische Identität?
Interlingua basiert auf dem größtmöglichen gemeinsamen Wortschatz der europäischen Sprachen und schafft eine gemeinsame Identität. Als Politikwissenschaftler habe ich mich in meiner Diplomarbeit intensiv mit der europäischen Identität und der Frage nach der originären Sprache Europas auseinandergesetzt.
Warum ist Interlingua das moderne Latein?
Interlingua kann für sich in Anspruch nehmen, das Latein in sich zu vereinen, welches in den modernen europäischen Sprachen überlebt hat. Dewsegen modernes Latein.
Warum ist Interlingua die Sprache für Europa?
Im Zusammenhang mit der Europäischen Union wird immer wieder diskutiert, welche Sprache sich als Verkehrssprache Europas eignet. Dabei werden vier Möglichkeiten diskutiert:
– Englisch – wird bis heute vorherrschend zur Kommunikation innerhalb der EU genutzt
– drei bis sechs Sprachen als Arbeitssprachen
– Latein
– Esperanto
Die genannten Vorschläge haben folgende Nachteile. Dem Englischen fehlt die Neutralität und Identität. Der multilinguale Ansatz ist nicht effektiv: Am Anfang herrscht Kakofonie, bevor sich am Ende doch eine der Sprachen durchsetzen wird. Latein scheitert an der Praktikabilität, da es grammatikalisch zu komplex ist. Esperanto ist eine Plansprache mit künstlich erschaffenem Vokabular und deswegen nicht identitätsstiftend.
Genau hier liegen die Vorteile von Interlingua: Die Plansprache besteht aus dem europäischen Wortschatz, fördert die europäische Identität, ist neutral und leicht zu erlernen. Interlingua als das moderne Latein kann an die Jahrhunderte lange erfolgreiche Tradition des Lateins als neutrale Verkehrssprache in Europa anknüpfen.
Wir finden es bedauerlich, dass Interlingua nie als weitere Möglichkeit diskutiert wird. Unser Anliegen ist es, dies zu ändern.
Haben nicht Muttersprachler der romanischen Sprachen einen Vorteil?
Wir sehen das pragmatisch. Lieber eine Sprache lernen, die für alle ungleich leicht ist, also unter Inkaufnahme, dass diese Sprache für andere noch leichter zu erlernen ist, als aus ideologischen Gründen eine Sprache für alle gleich schwer zu machen. Damit ist niemandem geholfen. Romanophone haben die Schwierigkeit, Interlingua und ihre Muttersprache auseinander zu halten. Damit ist der Vorteil wieder weg.
Wer entscheidet letztendlich über sprachliche Fragen bei Interlingua?
Im Prinzip niemand solange Interlingua keine offizielle Sprache ist. Sollte Interlingua eines Tages einen offiziellen Status erhalten, dann wäre der Entscheider der Gesetzgeber bzw. eine von ihm beauftragte Institution wie das Kultusministerium etc.. Wir vom Erasmus-Institut haben den Anspruch, für die gesamte deutsche Sprachwelt auf demokratischem Wege erzielte Sprachempfehlungen zu formulieren. Diese Empfehlungen werden wir gegenüber anderen Interlingua-Organisationen vertreten.
Wozu kann ich Interlingua im Alltag verwenden?
Es gibt ein Sprichwort der Interlingua-Gemeinschaft: „Es ist nicht entscheidend, wie viele Menschen Interlingua sprechen, sondern wie viele Interlingua verstehen.“ Durch das Vokabular kann man sich grundlegend mit Italienern, Spaniern und Portugiesen verständigen. Zudem erleichtert Interlingua das Verständnis der Fremdwörter in der deutschen Sprache und das Erlernen von Englisch und den romanischen Sprachen. Für Sprecher von afrikanischen oder asiatischen Sprachen verschafft Interlingua einen optimalen Zugang zu den europäischen Sprachen.
Was will das Erasmus-Institut erreichen?
Erst einmal wollen wir eine Lücke schließen, weil es im deutschsprachigem Raum bislang keinen institutionalisierten Rahmen für eine Interlingua-Vereinigung gibt. Zweitens schließen wir ebenfalls eine Angebotslücke, weil wir Interlingua mit der Europa-Idee verknüpfen. Wer Interlingua lernt, soll auch über Europa lernen. Wir wollen die Öffentlichkeit darüber aufklären, dass Interlingua eine Kultursprache und keine Kunstsprache ist. Wir sind überzeugt, dass Interlingua die wahre europäische Sprache ist!